„Wann
werden wir lernen, dass Menschen von unendlichem Wert sind, weil sie
nach dem Bilde Gottes geschaffen wurden, und es Blasphemie ist, sie
als weniger als das zu behandeln und dass es auf diejenigen, die es
doch tun, letztendlich zurückfallen wird?“
-Desmond Mpilo Tutu-
Schon ein paar Wochen nach meiner
Ankunft in Cape Town durfte ich die gegenüber wohnenden, wochenends
als Priester tätigen Eltern eines Freundes zur Kirche begleiten. Dem
ganzen lag eigentlich meine Neugierde zugrunde, ich wollte wissen
warum dem Gang in die Kirche hier eine solch große Wichtigkeit
beigemessen wird.
Ja, ich muss einräumen zwar getauft
worden zu sein, und später traf ich bewusst die Entscheidung mich
konfirmieren zu lassen, aber selten bin ich regelmäßig in der
Kirche erschienen. Ich habe das so gehandhabt: Wenn ich mich danach
fühlte in die Kirche zu gehen fand auch ein Kirchenbesuch meiner
Wenigkeit statt. Wenn nicht, und das war oft der Fall, bin ich nicht
in die Kirche gegangen.
Ich bin also in die Kirche gegangen, es
ging hinaus aus Khayelitsha, durch eine wohlhabende Gegend von
Kapstadt, und wieder in ein Township, diesmal Kraaifontein.
Begeistert war ich vor allem davon, wie wenig Wichtigkeit der
Erscheinung der Kirche beigemessen wurde. Sie bestand aus Wellblech
und Holz, der Boden war mit Pappe und Plastik ausgelegt. Vorne ein
kleiner Altar, daneben ein paar pflegeleichte Blumen aus Stoff und
Plastik. Warum auch immer wussten die Kirchgänger, dass es los geht.
In feiner und sauberer Kleidung erschienen sie. Die Kirche füllte
sich langsam, es wurde der erste Gospel-Song angestimmt. Ganz anders
als in den Gottesdiensten wo ich bisher war, wurde hier angenehmer
Weise kein Wert auf Ruhe und Ernsthaftigkeit gelegt. Es wurde
geklatscht, gestampft, mit der Bibel getrommelt und viel gelacht.
Darauf folgend wurden Gebete angestimmt, jeder sprach sein eigenes
Gebet, dass aus Danksagungen an Gott bestand. Dabei wurde laut
geschrien, geweint, schnell vor sich hin gemurmelt. Ich selber sprach
leise vor mich hin das „Vater unser“ ohne irgendwelche Emotionen
zu zeigen. Der Kirchenbesuch war klasse. Ich war froh, nicht einfach
einen leicht veränderten europäischen Gottesdienst besucht zu
haben. Das hier war etwas wofür auch Desmond Tutu steht, der
weiterentwickelte und nicht von irgendwoher übernommene Christliche
glaube.
Dennoch kam ich nicht umhin, mir einige
Fragen zu stellen, als Antwort dieser sich bei mir ein Unverständnis
der europäischen Missionare von einst bildete.
Die Arbeit der Missionare war deshalb
so erfolgreich, weil sie ihre europäische Lebensweise mitbrachten.
Individuell denkend, gut organisiert und dadurch finanziell
abgesichert machten sie einen starken Eindruck auf die kollektiv
agierenden Einwohner von Südafrika. Sie nahmen eine Vorbildrolle
ein. Die Ideen der Missionare fanden deshalb viel Anklang.
Dazu gibt es eine passende Redensart:
„Als die weißen kamen, hatten sie die Bibel und wir das Land.
Jetzt haben wir die Bibel und sie das Land.“
Natürlich hatten einige Missionare den
wirklichen Willen den Zugang zu Bildung zu schaffen, es gab aber
genug, die dieser Redensart entsprachen.
Denn die Missionare haben durch harte
Arbeit bewirkt, dass ein großer Teil der um mich herum lebenden
Menschen ein Doppelleben führen. Das eine Leben ist der Kirche
gewidmet, das andere der Kultur, der Familie und dem sozialen
Miteinander. Um ein guter Christ zu sein, muss so oft wie es geht in
die Kirche gegangen werden. Dabei haben die Missionare eine ebenso
merkwürdige wie unverständliche Denkweise entworfen: Je öfter ihr
die Kirche besucht, desto gottgläubiger seid ihr.
Absichtlich weggelassen wurde das
eigentlich naheliegende, eine christliche Lebensweise in den Alltag
zu zu integrieren.
Dazu zählt die Moral, sie beinhaltet
Entscheidungen wie: Schmeiße ich meine Chipstüte auf den Boden und
lasse den Wind Khayelitshas seines Amtes walten, oder riskiere ich
zehn Schritte mehr um das Stück Plastik an den dafür vorgesehenen
Mülleimer unterzubringen?
Meistens wird dann der Wind bemüht den
Müll außer Sichtweite zu räumen.
Nun Frage ich mich, wie Menschen, die
drei Mal in der Woche in der Kirche sind, von Cape Town bis nach
Johannesburg zu Gottesdiensten fahren, es lauthals befürworten
können, dass ein Dieb im Township zum nahen Tod zusammengeschlagen
wird? Ist das Christlich? Der Lehrweise der Missionare nach ja. Denn
das zweite der beiden Doppelleben ist alles was die soziale
Interaktion betrifft, und bei Kriminalität ist die soziale
Interkation hier eben körperlich, hat ja auch nichts mit Moral oder
Kirche zu tun. Am nächsten Sonntag finden sich diese Menschen in der
Kirche wieder, preisen Gott mit der Meinung, das absolut richtige
getan zu haben.
Es ist leider allgegenwärtig, dass die
Ländereien den Weißen gehören, die schwarze Bevölkerung muss sich
in den meisten Fällen mit unterbezahlten Jobs bei eben diesen weißen
Grundbesitzern durchschlagen. Bei Diebstählen geht es den
Townshipbewohnern dann ums nackte überleben. Da rückt die Bibel in
den Hintergrund, ein Dieb darf natürlich getötet werden.
Ich frage mich: was haben die
Missionare hier eigentlich verbreitet?
Fakt ist, dass bei vielen anderen
Dingen ein unerschütterlicher Glaube herrscht, Dank der Missionare.
Die hohe Arbeitslosigkeit (über 50%) kann durchaus den Missionaren
angehängt werden: Mir erzählen arbeitslose Freunde, dass sie jetzt
noch mehr zur Kirche gehen oder in Gospelchören mitsingen, um Gottes
Gunst auf der Suche nach einem Arbeitsplatz zu erlangen. Es wird sich
feingemacht, oft in die Kirche gegangen, aber der Gott-Glaube nimmt
so viel Platz ein, dass sich nebenher leider keine Jobsuche mehr
unterbringen lässt, außerdem gehört ein feiner Haarschnitt und
saubere Kleider ja in die Kirche. Da scheint es offensichtlich, dass
die Missionare ihre Überzeugungsarbeit mit diesem Gedanken geleistet
haben: „Leute, geht zur Kirche so oft es geht erscheint vor Gott
bloß fein gekleidet! Wir sichern uns dafür die Ländereien und die
guten Arbeitsplätze.“.
Ein Bisschen davon liegt immer noch in
der Luft. In Khayelitsha werde ich oft als höher gestellte Person
angesprochen, denn jeder weiße zählt in den Augen der Einwohner von
Khayelitsha als Chef. Und nie habe ich die Leute hier besser
gekleidet gesehen als an Sonntagen. Einer jungen Dame antwortete ich
neulich auf ihre Nachfrage hin wieso ich nicht jeden Sonntag in die
Kirche gehe, dass ich nur gehe wenn ich mich danach fühle.
„Dürstet es dir denn nicht danach,
Gott zu preisen für das was er für dich tut?“
fragte sie mich.
„Nein, was tut er denn für mich?“
„Alles!“
„Ich steuere doch mein Leben und
nicht Gott.“
Besorgt und ernst bekam ich zu hören:
„Willst du in die Hölle kommen?“
Ausgerechnet hier, ausgerechnet in
Khayelitsha preisen die Menschen Gott für seine Hilfe, dabei leben
70% der Einwohner in Shacks und haben kaum Geld zum leben.
Ausgerechnet hier werden täglich Menschen erschossen und zu Tode
geprügelt.
Dabei ist es überdeutlich was hier
gebraucht wird und das war es sicher auch nach den
Kolonialisierungs-Kriegen als die Missionare ankamen. Ein gut
strukturierter Bildungsapparat, nicht der bedingungslose
Gottesglaube, der das Alltagsleben unmoralisch und oft auf eine
schlechte Weise verlaufen lässt. Das ist mit eisernem Willen von den
Missionaren gelehrt worden. Leider.