Freitag, 21. Februar 2014

Gottesdienst und Missionare

Wann werden wir lernen, dass Menschen von unendlichem Wert sind, weil sie nach dem Bilde Gottes geschaffen wurden, und es Blasphemie ist, sie als weniger als das zu behandeln und dass es auf diejenigen, die es doch tun, letztendlich zurückfallen wird?“
-Desmond Mpilo Tutu-

Schon ein paar Wochen nach meiner Ankunft in Cape Town durfte ich die gegenüber wohnenden, wochenends als Priester tätigen Eltern eines Freundes zur Kirche begleiten. Dem ganzen lag eigentlich meine Neugierde zugrunde, ich wollte wissen warum dem Gang in die Kirche hier eine solch große Wichtigkeit beigemessen wird.

Ja, ich muss einräumen zwar getauft worden zu sein, und später traf ich bewusst die Entscheidung mich konfirmieren zu lassen, aber selten bin ich regelmäßig in der Kirche erschienen. Ich habe das so gehandhabt: Wenn ich mich danach fühlte in die Kirche zu gehen fand auch ein Kirchenbesuch meiner Wenigkeit statt. Wenn nicht, und das war oft der Fall, bin ich nicht in die Kirche gegangen.

Ich bin also in die Kirche gegangen, es ging hinaus aus Khayelitsha, durch eine wohlhabende Gegend von Kapstadt, und wieder in ein Township, diesmal Kraaifontein. Begeistert war ich vor allem davon, wie wenig Wichtigkeit der Erscheinung der Kirche beigemessen wurde. Sie bestand aus Wellblech und Holz, der Boden war mit Pappe und Plastik ausgelegt. Vorne ein kleiner Altar, daneben ein paar pflegeleichte Blumen aus Stoff und Plastik. Warum auch immer wussten die Kirchgänger, dass es los geht. In feiner und sauberer Kleidung erschienen sie. Die Kirche füllte sich langsam, es wurde der erste Gospel-Song angestimmt. Ganz anders als in den Gottesdiensten wo ich bisher war, wurde hier angenehmer Weise kein Wert auf Ruhe und Ernsthaftigkeit gelegt. Es wurde geklatscht, gestampft, mit der Bibel getrommelt und viel gelacht. Darauf folgend wurden Gebete angestimmt, jeder sprach sein eigenes Gebet, dass aus Danksagungen an Gott bestand. Dabei wurde laut geschrien, geweint, schnell vor sich hin gemurmelt. Ich selber sprach leise vor mich hin das „Vater unser“ ohne irgendwelche Emotionen zu zeigen. Der Kirchenbesuch war klasse. Ich war froh, nicht einfach einen leicht veränderten europäischen Gottesdienst besucht zu haben. Das hier war etwas wofür auch Desmond Tutu steht, der weiterentwickelte und nicht von irgendwoher übernommene Christliche glaube.


Dennoch kam ich nicht umhin, mir einige Fragen zu stellen, als Antwort dieser sich bei mir ein Unverständnis der europäischen Missionare von einst bildete.
Die Arbeit der Missionare war deshalb so erfolgreich, weil sie ihre europäische Lebensweise mitbrachten. Individuell denkend, gut organisiert und dadurch finanziell abgesichert machten sie einen starken Eindruck auf die kollektiv agierenden Einwohner von Südafrika. Sie nahmen eine Vorbildrolle ein. Die Ideen der Missionare fanden deshalb viel Anklang.
Dazu gibt es eine passende Redensart: „Als die weißen kamen, hatten sie die Bibel und wir das Land. Jetzt haben wir die Bibel und sie das Land.“
Natürlich hatten einige Missionare den wirklichen Willen den Zugang zu Bildung zu schaffen, es gab aber genug, die dieser Redensart entsprachen.
Denn die Missionare haben durch harte Arbeit bewirkt, dass ein großer Teil der um mich herum lebenden Menschen ein Doppelleben führen. Das eine Leben ist der Kirche gewidmet, das andere der Kultur, der Familie und dem sozialen Miteinander. Um ein guter Christ zu sein, muss so oft wie es geht in die Kirche gegangen werden. Dabei haben die Missionare eine ebenso merkwürdige wie unverständliche Denkweise entworfen: Je öfter ihr die Kirche besucht, desto gottgläubiger seid ihr.
Absichtlich weggelassen wurde das eigentlich naheliegende, eine christliche Lebensweise in den Alltag zu zu integrieren.
Dazu zählt die Moral, sie beinhaltet Entscheidungen wie: Schmeiße ich meine Chipstüte auf den Boden und lasse den Wind Khayelitshas seines Amtes walten, oder riskiere ich zehn Schritte mehr um das Stück Plastik an den dafür vorgesehenen Mülleimer unterzubringen?
Meistens wird dann der Wind bemüht den Müll außer Sichtweite zu räumen.
Nun Frage ich mich, wie Menschen, die drei Mal in der Woche in der Kirche sind, von Cape Town bis nach Johannesburg zu Gottesdiensten fahren, es lauthals befürworten können, dass ein Dieb im Township zum nahen Tod zusammengeschlagen wird? Ist das Christlich? Der Lehrweise der Missionare nach ja. Denn das zweite der beiden Doppelleben ist alles was die soziale Interaktion betrifft, und bei Kriminalität ist die soziale Interkation hier eben körperlich, hat ja auch nichts mit Moral oder Kirche zu tun. Am nächsten Sonntag finden sich diese Menschen in der Kirche wieder, preisen Gott mit der Meinung, das absolut richtige getan zu haben.
Es ist leider allgegenwärtig, dass die Ländereien den Weißen gehören, die schwarze Bevölkerung muss sich in den meisten Fällen mit unterbezahlten Jobs bei eben diesen weißen Grundbesitzern durchschlagen. Bei Diebstählen geht es den Townshipbewohnern dann ums nackte überleben. Da rückt die Bibel in den Hintergrund, ein Dieb darf natürlich getötet werden.
Ich frage mich: was haben die Missionare hier eigentlich verbreitet?
Fakt ist, dass bei vielen anderen Dingen ein unerschütterlicher Glaube herrscht, Dank der Missionare. Die hohe Arbeitslosigkeit (über 50%) kann durchaus den Missionaren angehängt werden: Mir erzählen arbeitslose Freunde, dass sie jetzt noch mehr zur Kirche gehen oder in Gospelchören mitsingen, um Gottes Gunst auf der Suche nach einem Arbeitsplatz zu erlangen. Es wird sich feingemacht, oft in die Kirche gegangen, aber der Gott-Glaube nimmt so viel Platz ein, dass sich nebenher leider keine Jobsuche mehr unterbringen lässt, außerdem gehört ein feiner Haarschnitt und saubere Kleider ja in die Kirche. Da scheint es offensichtlich, dass die Missionare ihre Überzeugungsarbeit mit diesem Gedanken geleistet haben: „Leute, geht zur Kirche so oft es geht erscheint vor Gott bloß fein gekleidet! Wir sichern uns dafür die Ländereien und die guten Arbeitsplätze.“.
Ein Bisschen davon liegt immer noch in der Luft. In Khayelitsha werde ich oft als höher gestellte Person angesprochen, denn jeder weiße zählt in den Augen der Einwohner von Khayelitsha als Chef. Und nie habe ich die Leute hier besser gekleidet gesehen als an Sonntagen. Einer jungen Dame antwortete ich neulich auf ihre Nachfrage hin wieso ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe, dass ich nur gehe wenn ich mich danach fühle.
„Dürstet es dir denn nicht danach, Gott zu preisen für das was er für dich tut?“
fragte sie mich.
„Nein, was tut er denn für mich?“
„Alles!“
„Ich steuere doch mein Leben und nicht Gott.“
Besorgt und ernst bekam ich zu hören:
„Willst du in die Hölle kommen?“
Ausgerechnet hier, ausgerechnet in Khayelitsha preisen die Menschen Gott für seine Hilfe, dabei leben 70% der Einwohner in Shacks und haben kaum Geld zum leben. Ausgerechnet hier werden täglich Menschen erschossen und zu Tode geprügelt.
Dabei ist es überdeutlich was hier gebraucht wird und das war es sicher auch nach den Kolonialisierungs-Kriegen als die Missionare ankamen. Ein gut strukturierter Bildungsapparat, nicht der bedingungslose Gottesglaube, der das Alltagsleben unmoralisch und oft auf eine schlechte Weise verlaufen lässt. Das ist mit eisernem Willen von den Missionaren gelehrt worden. Leider.